Was tun mit scheuem Kater?

Hallo ihr Lieben! Im November habe ich einen Kater von meiner Großtante adoptiert, da sie an Krebs verstorben ist. Sie wollte ihn nicht ins Tierheim abgeben, was ich sehr gut verstehen kann, und hat sich an mich gewendet. Sie hatte eine Art Katzenkeller mit mehreren Katzen, die auch die Möglichkeit zum Freigang hatten. Sie wusste auch dass ich nur eine Wohnung ohne Freigang habe, meinte aber der Kater hätte den Freigang kaum genutzt und sich mit den anderen Katzen nicht gut verstanden. Ich lebe zusammen mit meinem Freund in der Wohnung (86qm). Der Kater (Johnny) hat sich von Anfang an hinter der Couch versteckt. Wir haben uns sehr gut informiert wie wir mit ihm umzugehen haben, also seinen Rückzugsort respektieren, warten dass er auf einen zukommt, lieb auf ihn einreden usw... Wir denken wir hätten alles richtig gemacht. Nun ist es Mai und sein verhalten hat sich nicht verändert. Er kommt nur raus wenn es dunkel wird oder wir nicht da sind. Zwischendurch hat er mal an uns geschnuppert, macht das aber nicht mehr. Wir haben auch eine Bachblütentherapie versucht, leider vergeblich. Ich will natürlich dass es dem Johnny gut geht und das ist aktuell kein Zustand für ihn. Braucht er vielleicht doch freigang oder eine andere Katze? Macht es Sinn dass wir ihn aufgenommen haben? Ich würde mich sehr über Ratschläge freuen!

2 Antworten

Erst mal vielen Dank, daß Ihr Euch des Katerchens angenommen und auch offensichtlich Geduld habt. Ich denke, er ist noch nicht bei Euch angekommen. Katzen haben ein gutes Gedächtsnis, er hat seine Bezugsperson und sein Heim veroren, das sind ganz furchtbar einschneidende Ereignisse. Dann vermißt er auch sicher noch die anderen Katzen im Haus, uch wenn er vielleicht gar nicht so begeistert von ihnen war. Meine beiden alten Herrschaften sind schon seit über 13 Jahren zusammen, haben immer noch ihre Probleme, aber wenn der eine mal zum Tierarzt ist, fängt die andere an, ihn zu suchen und zu weinen.

Ich denke, da ist viel auf den Kater eingestürmt und Ihr müßt einfach weiterhin Geduld haben. Sprecht immer leise mit ihm, möglichst die gleichen Worte für Leckerlis, Wasser, Futter, Schmusen, Streicheln, benutzen. Wenn Ihr ihn streicheln könnt, tut das ausgiebig, aber wenn er weg geht, dann ist es auch gut. Lockt ihm mit Leckerlis. Eins hinwerfen, das nächste aus der Hand holen, ihr müßt regelrechte Rituale aufbauen. Hat er ergnug Rückzugsmöglichkeiten auf Kratzbäumen und Spielzeug? Vielleicht interessiert ihn ein Katzenkissen mit Katzenminze oder Baldrian.

Seid einfach geduldig, es kann dauern.

Negreira hat schon vieles gesagt, dem ich zustimme. (Einige Punkte finden allerdings nicht wirklich meine Zustimmung; dazu gleich mehr.) 

Darüber hinaus würde ich noch einiges ergänzen wollen.

... hätte den Freigang kaum genutzt und sich mit den anderen Katzen nicht gut verstanden ...

Johnny ist offensichtlich von der Sorte "Einzelgänger". Das werdet ihr nie ändern können. Lernt also, damit zu leben; denn das bedeutet: Es wird nie ein "Schmuse-Kater".

... von Anfang an hinter der Couch versteckt ...

Ich weiß nicht, wie viel ihr schon getan habt, daher zähle ich es einfach mal auf, was ihr so machen könnt:

Johnny braucht viel "Rückzugsraum"; also "Abstand zu euch". Wenn er die Couch dazu nutzt, dann ist sie für euch tabu. Komplett. Einschließlich des Raumes von ca. 1 Meter drum herum.

Das ist natürlich auf Dauer unhaltbar. Deshalb schafft mehrere Rückzugsmöglichkeiten in der ganzen Wohnung. Ein Karton hier; der Platz unter dem Schrank dort. Wichtig ist, dass diese Plätze so angelegt sind, dass die Katze darin bequem hocken und möglichst den ganzen Raum beobachten kann, ohne selbst gesehen zu werden.

Für den Anfang und "zum Zeigen des Platzes" legt ihr ein bisschen Leckerlie rein und lasst diese Plätze dann völlig in Ruhe. Johnny wird sie begutachten, sobald er sich sicher fühlt. Im Zweifel also nachts, wenn ihr schlaft.

Wann immer Johnny in einem seiner Rückzugsräume ist, ist er für euch "unsichtbar". Ihr ignoriert ihn vollständig. Und schon gar nicht schaut ihr in seine Richtung. Das ist WIRKLICH WICHTIG, denn er kann nur Vertrauen fassen, wenn er weiß, dass es "sichere Rückzugsmöglichkeiten" für ihn gibt.

Im gleichen Raum mit Johnny vermeidet auch alles, was ihn erschrecken kann. Raschelnde Kleidung, hastige Bewegungen, plötzlich laute Stimmen (etwa aus dem Fernseher oder Radio), etc. ...

Wann immer er die Nase raussteckt, signalisiert ihr ihm, dass alles okay ist. Keine Feinde da, kein Ärger, kein Stress. 

Das geht leicht, wenn ihr sofort, wenn er die Nase raussteckt, anfangt, in "Baby-Sprache" mit ihm zu reden. (So wie Mütter mit ihren Babys reden.) Leise, aber nicht übertrieben flüsternd; und monoton; fast schon einschläfernd. Dazu keine hastigen Bewegungen, aber auch nicht in "Super Slow Motion" bewegen. Einfach nur langsame, gleitende, vorhersehbare Bewegungen machen.

Außerdem schaut ihr ihn dann an und kneift die Augen zusammen. (Stelle dich mal vor den Spiegel und lache aus vollem Herzen! Siehst du, wie sich deine Augen dabei zusammenkneifen?) Katzen können nicht lachen. Aber das "Augen-Signal" verstehen sie. Und es bedeutet für sie: "Alles klar. Ich bin dein Freund. Ich tue dir nix. Und du wirst mir hoffentlich auch nichts tun."

Übertreibe dieses Signal aber nicht, denn vollständiges Schließen der Augen ist ein Unterwerfungssignal. Und das würde den Kater verwirren. Kneife die Augen also nur so weit zusammen, wie es beim Lachen automatisch passiert. 

Und vermeide echtes Lachen, wenn du dabei die Zähne zeigst und/oder dabei Laute machst. Katzen interpretieren das als Aggressions-, Verteidigungs- oder Angriffs-Signal.

Sobald er sich mal ganz raustraut (oder schon eine ganze Weile - also mehrere Stunden - regungslos in seinem Versteck verharrt hat), wecke seinen Jagdtrieb. Klassische Katzenspielzeuge gibt's zuhauf. Irgendwas mit "Feder an (langem) Faden" ist perfekt. Einfach in einigem Abstand (etwa 1 Meter) von Johnny entfernt "die Angel auswerfen" und dann mit der Feder herumzappeln. (Mit sanftem Zucken der Feder beginnen und nach und nach immer heftiger werden. Bis die Feder "außer Sicht davonläuft". Dann wieder Angel auswerfen und von vorn beginnen.)

Auch, wenn er sich nicht gleich raustraut: Es wird ihn faszinieren. Und er wird es beobachten. Macht also einfach weiter. Ruhig 10, 12 Mal. Und immer mal wieder. Bis er irgendwann nicht mehr widerstehen kann und sich - vielleicht zunächst nur ein paar Zentimeter - aus dem Versteck wagt und in Position zum Überfall setzt.

Wenn er sich die ersten Male raustraut, vermeide unbedingt alles, was ihn erschrecken kann. Vermeide es anfangs auch, ihn zu berühren oder ihm zu nahe zu kommen. Schaue ihn dabei auch nicht direkt an. Schon gar nicht in die Augen. Nur locken und spielen. 

Erst wenn er sich auf das Spielzeug eingelassen hat, kannst du den Abstand nach und nach verringern, bis du ihm irgendwann (natürlich "rein zufällig" ;)) sanft übers Fell streichst und dabei in "Baby-Sprache" eine Geschichte erzählst. Beginne mit der Baby-Geschichte kurz bevor du Johnny berührst. Und höre schlagartig mit dem "Babbeln" auf, wenn er sich hastig zurückziehen sollte. Damit signalisierst du ihm, dass du eigentlich noch nicht fertig warst, es aber respektierst, dass er sich zurückzieht. Ansonsten beginne und beende das "Babbeln" sanft und ausklingend...

Apropos "Streicheln": Johnny allein bestimmt, ob gestreichelt werden darf oder nicht. Und ihr werdet es deutlich merken, ob, wann und wie lange er es haben möchte. Streicheln ist bei Katzen "nur" Sozialverhalten. Und erzwungenes Streicheln zwingt ihn in eine Unterwerfungsstellung. Doch dafür ist er definitiv (noch) zu stolz. Am Ende wirft es euch also nur zurück, weil er sich nicht zwingen lassen will. 

Einfache Faustregel: Man kann eine Katze nicht "zu selten" streicheln. Sie braucht das nicht für ihren Seelenfrieden. Wenn sie aber ihre Sozialisation pflegen will, wird sie es dir zeigen. (Sie bleibt bei dir stehen, sie streicht um deine Beine, sie setzt oder legt sich neben dich, etc.) Und dann darfst du sie nicht zurückweisen und "musst" streicheln, sofern dir etwas an ihrem Sozialkontakt liegt. 

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Grundsätzlich solltest du IMMER - auch dann, wenn du dich eigentlich gar nicht mit ihm beschäftigst - signalisieren, dass du sein Freund bist und dass du in den nächsten Minuten nicht vorhast, ihn umzubringen oder anzugreifen. 

Das heißt: JEDES MAL, wenn du an ihm vorbeikommst und er ist nicht gerade "unsichtbar", dann erzähle ihm ein paar sanfte "Baby-Worte", schaue ihn dabei an (nicht in die Augen!) und kneife die Augen ein bisschen zusammen. JEDES. MAL. Und wenn es 100 Mal am Tag ist. Bewegt er sich dabei auf dich zu oder schneidet er deinen Weg, bleibe stehen, rede weiter und warte ab. Das sind seine Zeichen, dass er dir mehr vertrauen möchte. Und er will eine Gegenreaktion von dir: Gehe in die Hocke, kneife die Augen zusammen, "babble", strecke die Hand aus ... und verharre... denn dann ist er wieder am Zug...

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